James Blunt hätte heute morgen beinah eins oder auch mehrere an die Löffel gekriegt, als er mir mit Anspringen des Radios um kurz nach halb acht 'you're beautiful' ins Ohr quäkte. Ich weiß, ich weiß, und mit noch etwas mehr Schlaf wär ich sogar Heidekönigin geworden. Purchen wie der Plunt hätten dann keine Gesangserlaubnis und säßen schon längst im tiefsten Chlund.

Morgens, 10:30 in Deutschland, alles macht sich bereit für die Wohnungsübergabe.

Die Gräben sind gegraben, alle Geschütze in Stellung gebracht, jeder wartet auf den ersten Schuss. Oder auf etwas, was sich anhört, wie ein Schuss, und sei es nur ein alter Danz mit einer Historie von Fehlzündungen. So fühlt es sich jedenfalls an.

Ich habe auf Empfehlung des Mietervereins eine Ingenieurin engagiert, die ein neutrales Übergabeprotokoll schreiben wird. Nur leider bringt die Dame ihren Auszubildenden mit, der knapp 1,90 groß und auch ziemlich breit ist. Meine recht kleinwüchsige Vermieterin fühlt sich sofort bedroht, außerdem sind wir ja jetzt zu dritt und die nur zu zweit. Überdies schreiben sie lieber ihr eigenes Protokoll. Ungünstige Vorraussetzungen für eine objektive Abwicklung.

Es ist ja auch alles soweit in Ordnung, nur: die Tür zwischen Schlaf- und Arbeitszimmer fehlt. Stimmt, die steht seit Jahren (und gewiss vor meinem Einzug) im Keller. Aber gut, ich hänge gerne die Tür wieder ein. Bei einem Küchenschrank ist ein Scharnier verbogen. Kann schon mal passieren, wenn so eine Tür im jahrelangen Gebrauch ist und zweimal am Tag auf und zu gemacht wird. Aber gut, ich fahre zu IKEA, kaufe ein neues Scharnier und bringe das in Ordnung. Der Herd ist nicht angeschlossen. Hmja, der soll doch Samstag eh aus der Wohnung und ist nicht mehr Bestandteil der neuen Kücheneinrichtung. Aber gut, wenn die Funktionsfähigkeit noch mal bewiesen werden muss, ich lasse morgen einen Elektriker kommen, der den Herd wieder anschließt. Dann kommt der entscheidende Moment, in dem ich froh bin, im letzten Jahr so viel für meine innere Ruhe und Gelassenheit getan zu haben, und ich danke innerlich meinem Lehrer im Vidya Ashram, der mich Nachsicht und Geduld auch mit den bescheuertsten Mitmenschen gelehrt hat.

Meine Vermieterin sagt: "Der PVC hier muss aber noch raus."

Der vor Jahren mit ihrem Einverständnis verlegte PVC. Der PVC, über den sie Anfang des Monats bei wasweißichwievielen Wohnungsbesichtigungen drübergelaufen ist. Der PVC, bei dem ihr am letzten Tag des Mietverhältnisses auffällt, dass er 'nicht mehr so schön' ist? Geht’s noch?

Aber gut. Wir einigen uns auf eine Fristverlängerung und ich werde den PVC entfernen lassen. Ein Handwerker muss her, ich bin ja nächste Woche im Auslandseinsatz. Wie teuer kann so was werden?

Wenn man sich nichts anderes vornimmt, keine Pausen macht, sich richtig konzentriert und alles andere ausblendet, ungefähr im Kopf hat, wo welcher Wertstoffhof ist und wie viel Schrott man auf einmal los wird (kommt auch immer auf die Tagesform des jeweiligen Müllwerkers und die Überzeugungskraft der eigenen Geschichte an), dann kann man innerhalb eines Tages einen ganzen Keller ausräumen.

Meine Vermieter sind nicht gut auf mich zu sprechen. Dabei hab ich nur brav ihren guten Rat befolgt und mir meinen Mietvertrag im Hinblick auf die Schönheitsreparaturen noch einmal genauestens durchgelesen. Und weil ich mich mit Mietrecht nicht wirklich auskenne, hab ich noch mal jemanden drüberlesen lassen, der mit sowas sein Geld verdient und sich auskennen sollte. Kernaussage: Die Renovierungsregeln zum Auszug in meinem Vertrag sind ungültig. Ich muß nichts weiter tun als Bohrlöcher moltofillen und ausfegen. Vielleicht noch Fensterputzen. Und den Mauerdurchbruch meines Ex geschickt genug tarnen, dass er nicht weiter auffällt. Dies teilte ich meinen Vermietern unverzüglich mit. Meine Platzierung auf der Skala der bösesten Menschen der Welt (aus Vermietersicht) wird jetzt nur noch von Osama bin Laden und Dieter Bohlen getoppt.

Ich bin zurzeit kurz vor der katatonischen Schizophrenie (das schlägt sich auch in relativ kurzgehaltener Kommunikation nieder) - was ich mir einfach vorgestellt hatte, wird durch meine Vermieter immer mehr verkompliziert. So kompliziert, daß ich schon den Anwalt des Mieterbundes in Anspruch genommen habe. Zwar nur für eine verbindliche Rechtsauskunft, aber wer weiß, was da noch kommt.

Meine Philanthropie ist erstmal nur eingeschränkt verfügbar.

Leute kennen lernen geht hier im Norden doch ganz einfach. Ich hatte vor einer Wohnungsbesichtung noch eine halbe Stunde Zeit und steuerte das nächstgelegene Café an, zwecks Aufwärmung. Auf dem Weg hierher war ich schon an genug Hunden vorbeigekommen, die beim Beinchenheben festgefroren waren, nebst verzweifelter Besitzer, die den Notruf der Feuerwehr überlasteten. Dieses Schicksal sollte mich nicht ereilen.

Das Café war rappelvoll, und so blieb mir nichts anderes übrig, als die einzig andere allein sitzende Person (zufällig männlich) zu fragen, ob wir uns den Tisch nicht teilen könnten. Er hatte nichts dagegen. Ich setzte mich. Wir schwiegen aneinander vorbei. Starrten Löcher in die Luft, haarscharf neben dem Kopf des Anderen. Dann sagte ich: "Das Anschweigen ist mir jetzt ein bisschen zu blöd. Soll ich Dir eine Geschichte erzählen?" Er hatte nichts dagegen.

Also erzählte ich die Geschichte vom Schlauchboot, welches mein Bruder festzubinden vergaß. Er lachte. Dann entspann sich eine nette Unterhaltung, er wohnte mit einem Mädel zusammen, mit dem ich vor Jahren einmal zusammen gearbeitet hatte, wir mochten dieselben Filme, er war schon oft in Lateinamerika unterwegs, wir warfen uns spanische Satzfetzen an den Kopf, die Welt ist eine Erbse und Donnerstag gehen wir zusammen Dr Seltsam schauen. Ganz einfach, wirklich.

Manch eine Tradition würde ich gerne still und heimlich in ein Paralleluniversum verschwinden lassen. Die dazu nötige Wurmlochtechnologie wurde von den Alten zwar in mein Unterbewußtsein eingepflanzt, aber ebendieses Unterbewußtsein mit seinen kleinen Eigenheiten zickt lieber herum, als der Menschheit ein großes Geschenk in die Hände zu legen. Das hört sich so an: Ich weiß etwas, was Du nicht weißt, ätsch!Ich hab ein Geheimnis, und das verrat ich nicht! Tidelditideldi...

Hier ist sie also, die traditionelle Weihnachtserkältung, mit Fieber, Ohrenschmerzen und allem, und ich fange so langsam an zu halluzinieren.